MIT KOPF, HERZ UND HAND FÜR DIE TOTALE- UND HYBRIDPROTHESE – DAS 10. KUNSTZAHNWERK VON CANDULOR
Christian Geretschläger
Totalprothetik, heute zunehmend auch Overdenture oder Hybridprothese, gibt dem Patienten alles zurück, im Mund und auch davor. Sie ist aber ebenso Basisqualifikation des Zahntechniker-Handwerks, das Verlorenes funktionell, anatomisch und ästhetisch ersetzt.
Essentiell ist hierfür ein räumliches Vorstellungsvermögen, die Totalprothetik fordert dies ein. Deshalb ist sie Basis- und Meisterqualifikation zugleich. Dabei ist es unerheblich, ob sie Schleimhaut gelagert, periodontal gestützt oder als Hybridprothese auf Implantaten verankert ist.
Der diesjährige Wettbewerb verlangte beides: Die schleimhautgelagerte Unterkieferprothese und eine Hybridprothese in Form einer bedingt abnehmbaren zirkulären Brücke im Oberkiefer. In Bezug auf das Okklusionskonzept entschied ich mich für die Lingualisierung nach Prof. Dr. A. Gerber mit dem Condyloform II NFC+ Seitenzahn. Eng mit dem Gerber-Prothetikkonzept ist seit über 70 Jahren CANDULOR verbunden und das ohne Falten und Patina. Das Unternehmen mit dem großen »C« im Logo ist engagiert in der permanenten Beobachtung prothetischer und zahntechnischer Entwicklungen und sich daraus ergebender Produktanforderungen. Das Bekenntnis zur Totalprothetik in Form dieses Contests, die gelebte Selbstverpflichtung für den hierfür wichtigen Know-how Transfer für und zwischen Zahnärzten und Zahntechnikern nimmt einen hohen Stellenwert ein, ist international anerkannt. Das motiviert mich immer wieder, am KunstZahnWerk teilzunehmen.
Der zu lösende Fall
Er basiert auf der Versorgung eines männlichen 65-jährigen Patienten, der seit Jahren Totalprothesen trägt und trotz mehrmaliger Neuanfertigungen unter dem stets insuffizienten Halt der Oberkiefer-Prothese gelitten hat.
Nach eingehendem klinischem und radiologischem Befund wurden im Oberkiefer sechs Implantate (CAMLOG) für eine bedingt abnehmbare, verschraubte Brücke in Hybridform gesetzt. Der Unterkiefer wurde mit einer Totalprothese in Neutralbisslage versorgt. Die Gestaltung der Oberkiefer-Versorgung musste wie im klinischen Fall eine Reinigung zwischen den Implantaten mit Interdentalraumbürsten zulassen. Auch durfte die ovale Ponticauflage nirgends eine sattelähnliche Form aufweisen und mit Dentalfloss zu reinigen sein.
Zur Reproduktion erhielten die Teilnehmer Modelle einschließlich der Laboranalogen, Kappen und Prothetikschrauben sowie den an der Patientensituation orientierten Kunststoffschlüssel, dessen labiale Kontur dem Lippenverlauf ebenso entsprach wie der bukkale Wangenkontakt. Für die Lösung nach der Gerber-Methode und der ihr zu Grunde liegenden Condylar-Theorie wurde ein CANDULOR Artikulator oder Condylator für die mittelwertige Modellorientierung gefordert. Hierbei war die Kondylenbahnneigung mit Referenz an den Patientenfall rechts auf 30° und links auf 28° einzustellen.
Abb. 1: Implantatsituation Hybridprothese im Oberkiefer
Abb. 2: Hybridprothese im Oberkiefer
Backward-Planning mit Blaupause
Vor der Zahnaufstellung nach dem Prinzip des Backward-Planning wird die Blaupause in Form der Modellanalyse nach Peter Lerch erstellt, der sie für das Totalprothetik-Konzept nach Gerber entwickelte. Ziel der Modellanalyse ist, herauszufinden, in welchen Bereichen unter Berücksichtigung der Atrophie beider Kiefer die Belastung sicher auf das obere und untere Prothesenlager übertragen wird, die Prothesenkippung und das nach Vorne-Unten-Gleiten des Unterkiefers (Proglissement) unter zahngeführten Bewegungen zu vermeiden. Gleichzeitig wird die Position der größten Kaueinheiten (6er-Positionen), der sagittale Korridor für die tragenden Lingualhöcker (Pistill/Kuppel) und deren antagonistischen Kontaktbereiche (Mörser/Mulde) festgelegt. Letztlich wird festgestellt, welche transversale Bisslage vorliegt. In diesem Fall der Normalbiss. Ohne Plan keine (Selbst)Kontrolle, kein Erfolg, deshalb ist das Anzeichnen der statisch relevanten Linien auf die Modellränder und Außenflächen ein Muss.
Abb. 3: Kieferkammverlauf für die Ermittlung der Position des statischen Kauzentrums im Unterkiefer
Abb. 4: Stopplinie (rot), dahinter ist Schluss mit Kontakten, um das Proglissement zu vermeiden
Abb. 5+6: Inzisalkanten und Eckzahnspitzen (leichte Mesialneigung) entsprechen den Markierungen des Silikonschlüssels
Abb. 7: Gerber-Prinzip: Bukkalhöcker der unteren 4er liegen auf der Statiklinie
Abb. 8: Die »sagittale Kurve«
Zahnaufstellung
Sie beginnt mit der Aufstellung der Frontzähne nach den genannten Vorgaben; Reihenfolge ist 11/21, 13/23 und 12/22. Dann erfolgt mit dem von Gerber entwickelten und bereits von ihm patentierten Condyloform-Seitenzahnkonzept die Aufstellung der Seitenzahnreihen analog zu der hierfür geltenden Schrittfolge. Die PhysioStar Frontzähne und Condyloform Seitenzähne würden Gerber (1907 – 1990), wenn er noch lebte, als Weiterentwicklungen seiner Originale wahrscheinlich überzeugen. Ihr unbestrittener Vorteil ist u.a. ihre selbstfindende Zentrik durch das Mörser-Pistill-Prinzip (BC-Kontakte). Ihre spiegelbildliche Morphologie analog zur Kontur des Gelenkkopfs und der Gelenkpfanne, ausgenommen die Vierer, ermöglichen eine gelenkorientierte Zahnführung mit statisch stabiler kalottenähnlicher Abstützung. Dies ist bei schmalen sagittalen Abstützungskorridoren vorteilhaft ohne dabei die Wangenabstützung durch transversales Volumen zu vernachlässigen und dank ihrer Lingualisierung werden destabilisierend wirkende Bukkalkontakte reduziert, die für periodontal oder Implantat gestützte herausnehmbare Versorgungen schädliche Horizontalschübe auf die Pfeiler ausüben können.
Die Wettbewerbsaufgabe zeigt, wie aktuell und richtungsweisend dieses Okklusionskonzept mit Originalen umgesetzt werden kann, die permanent den steigenden Anforderungen an Materialien, Werkstoffkombinationen, Handling sowie den aktuellen Patientenerwartungen angepasst und damit für die herausnehmbare Prothetik eine vorteilhafte Wahl sind.
Abb. 9: Zentrikkontakt der 4er - unterer Bukkalhöcker hat Kontakt in der oberen zentrischen Fossa
Abb. 10: Autonome Kaustabilität und Schutz der Implantate vor Horizontalschüben durch Zahn-zu-Zahn-Okklusion
Prothesenkörper
Seine Gestaltung hat neben ästhetischen Aspekten ebenso funktionelle für die Unterstützung des neuromuskuläre Gleichgewichts und damit für den Halt der Prothese. Es wird zum einen durch die Zahnposition in Verbindung mit dem Atrophieverlauf und zum anderen durch das Gleichgewicht zwischen Prothesenkörper und Muskulatur bestimmt. Länge und Stärke des Prothesenrandes, Kontur des Prothesenkörpers sowie die Bändchenlage und Bändchenverlauf sind die relevanten Faktoren.
Hierfür maßgebliche Muskeln sind der M. masseter (bukkal, im Molarenbereich), M. buccinator (bukkal, im Prämolarenbereich), M. orbicularis oris (labial, Frontzahnbereich), M. mylohyoideus (paralingual, Seitenzahnbereich), M. geniohyoideus und genioglossus (sublingual, untere Frontzähne) sowie die Zunge.
In der Front werden Lippenschilder für den Mundringmuskel ausgearbeitet. Hierbei weist Lerch besonders darauf hin, dass die Lachlinie kurz hinter dem Scheitelpunkt zwischen konvexem und konkavem Konturübergang liegt. Im Seitenzahnbereich werden Bukkinatorstützen geschaffen und bei den Bändchenaussparungen deren Zugrichtung nachempfunden. Um einen möglichst altersgemäßen, natürlich wirkenden Zahnfleischsaum zu erhalten, werden die Interdentalräume unregelmäßig, teilweise mit etwas verlängerten klinischen Kronen gestaltet. Die Übergänge von den Zähnen zum Zahnfleisch sind mit Blick auf die Prothesenhygiene nicht wulstig, sondern rundlich und zum Zahnhals flach auslaufend konturiert.
Abb. 11: Bändchenfreiheit in deren Zugrichtung hier am Beispiel der Ausarbeitung
Abb. 12: »Muskelgriffigkeit« für die Lagestabilisierung der Prothese
NEM-GERÜST – BEDINGT ABNEHMBARE BRÜCKE IM OK
Die Aufstellung wird vom Modell abgenommen, die Scanbodies auf die Implantate geschraubt. Im Anschluss werden das Modell, der Gegenbiss, hier die Unterkiefer-Aufstellung auf dem Modell, gescannt. Sind die Implantatpositionen festgelegt, werden die Scanbodies entfernt und die Oberkiefer-Aufstellung auf das Modell gesetzt und ebenfalls gescannt. Es folgt das Einsetzen beider Modelle in den Artikulator und das Scannen des Bisses. Jetzt erfolgt mit der Konstruktionssoftware das Design des Metallgerüsts, das dann aus NEM gefräst wird. Das gefräste Gerüst wird auf Oberflächengüte und spannungsfreien Sitz überprüft, anschließend wird es abgestrahlt, silanisiert und Opaquer aufgetragen.
Abb. 13: links - Scan mit Wachsaufstellung, rechts - Das konstruierte Gerüst für die Hybridprothese
SCHÖNHEIT KOMMT VON INNEN
Wenn die Prothesenbasis koloriert wird, dann besser nachhaltig durch Einlegetechnik und nicht mit äußerlich aufgetragenen Malfarben. Der Vorteil des Einlegens ist die Einbettung der Farben in den Prothesenbasiskunststoff, da Basiskunststoff und die AESTHETIC Intensive Colors aus identischer chemischer Zusammensetzung bestehen: PMMA. Es entsteht somit ein chemisch stabiler, artgleicher chemischer Verbund. Dadurch »altern« Farben nicht so schnell, werden z. B. durch die Prothesenreinigung nicht abgerieben und splittern im Lauf der Tragedauer nicht wie ein verwitterter Lack vom Holzrahmen ab. Für den von innen zu erzielenden Kolorierungseffekt ist folgende Schrittfolge sinnvoll: Papillen, Zahnwurzeln, Vestibulärschild, Lippenbändchen und abschließend die Prothesenbasis. Sie wird mit dem Prothesenkunststoff AESTHETIC BLUE in Farbe 34 hergestellt, sie ist auch die Basis für das Mischen mit den Intensivfarben, um einen harmonischen Eindruck zu erzeugen.
Für die Papillen und Zahnwurzeln wird die Farbe 34 mit den AESTHETIC Intensive Colors Gelb und Weiß gemischt. Das Vestibulärschild sowie das Lippenbändchen werden die Farbe 34 und den Intensivfarben Rot, Braun, Blau und Pink verwendet. Ein Marmorierungseffekt des Vestibulärschilds ist am besten zu erzielen, wenn der Kunststoffteig nicht zu intensiv durchgemischt wird.
Das KunstZahnWerk ist einzigartig und hat das Zeug für den »zahntechnischen Oskar« in der Disziplin herausnehmbare Prothetik. Wer daran als Meister, Techniker oder Lehrling teilnimmt, motiviert sich selbst und andere und zeigt, was Zahntechniker als Gesundheitshandwerker können.
Abb. 14: Farbe kommt von innen: Aesthetic Intensive Colors zum Einlegen in den Basiskunststoff
Abb. 15: Das fertige Ergebnis von Ztm. Christian Geretschläger kann sich wirklich sehen lassen. Diese Arbeit ist der Beweis dafür, dass »Totalprothetik« eine große Herausforderung darstellt und viel Wissen fordert
WICHTIG / Das vollständige Bildmaterial zu diesem Fachartikel finden Sie im PDF des Fachartikel, der unten zum Download steht.
MATERIAL
Gips
Rocky Mountain (Klasse 4)
Artigips
Arti STAR (Klasse 4)
Artikulator
Artikulator CA 3.0 (CANDULOR)
Dupliersilikon
Citrosil citron (Klasse 4)
Knetsilikon
Fifty Fifty (Klasse 4)
Modellierwachs
AESTHETIC Wax (CANDULOR)
Modellierwachs, individuelle Farben
AESTHETIC Color Wax (CANDULOR)
Prothesenkunststoff
AESTHETIC BLUE (CANDULOR)
Gingiva Charakterisierung
AESTHETIC Color Set Easy (CANDULOR)
Prothesenzähne, Komposit
PhysioStar NFC+ / Condyloform II NFC+ (CANDULOR)
Verbundmaterial/Metall-Kunststoff
Metalprimer (GC Europe)
Komposite, Zähne Individualisieren
Sinfony (3M Espe)
Rosa Opaquer
Sinfony (3M Espe)
Implantatsystem
Comfour System (Camlog)
Legierung
NEM (Camlog/Dedicam)
2017
KunstZahnWerk, 1. Platz: Beste Wettbewerbsarbeit
Mitglied in der DGÄZ
2011
Klaus-Kanter-Preis, 2. Platz
KunstZahnWerk, Preis für beste Print-Dokumentation
2010
Tätig als Meister im Dental Labor Kornexl, Breitenberg
Meisterprüfung in München, Jahrgangsbester
2001 – 2009
Zahntechniker im Dentallabor Kornexl, Breitenberg
währenddessen ständige Fortbildungen
2001
Grundwehrdienst als Zahntechniker, Bundeswehrkrankenhaus Amberg
1996 – 2000
Ausbildung zum Zahntechniker im Dentallabor Kornexl, Breitenberg
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